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Depression

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Kann ein einfacher Labortest vor Burnout warnen?

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Es gibt einzelne Studien, die zeigen, dass Burnoutpatienten (BO) im Schnitt ein etwas tieferes Cortisol haben, als NBOs, aber nicht so, dass es unter dem Normwert des Nornalen liegt. Es kommt auch darauf an, was man genau misst, Cortisol nach dem Aufwachen, Verlauf über den Tag, Arbeitstag vs. Freitag etc. Poolt man die Studien in einer Meta-Analyse, so kommt nichts raus (s. unten Danhof-Pont et all).

Aber es kann sicher Sinn machen, den Cortisolverlauf beim einzelnen Individuum zu messen, da die Verläufe mit mehr oder weniger BO korreliert sein könnten und so das Cortisol evtl frühzeitig auf BO Risiko hinweist.
— Prof. Dr. med. Roand von Känel

Die Symptome von Burnout können variabel sein. Eine Abgrenzung zu anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, bei denen Stress eine Rolle spielt, kann daher manchmal schwierig sein. Eine aktuelle Studie von  Dr. Sonia Lupien und Robert-Paul Juster vom Centre for Studies on Human Stress des Louis-H. Lafontaine Hospitals und der University of Montreal in Kanada hat einen neuen Test für Burnout untersucht, der eine Diagnose erleichtern könnte:

„Unsere Hypothese war, dass gesunde Arbeitnehmer mit chronischem Stress und milden Symptomen von Burnout vermehrt physiologische Regulationsstörungen und einen niedrigeren Cortisolspiegel haben würden – ein Profil, das typisch für Burnout ist“, erklärt Juster, der erste Autor der Studie. Cortisol ist ein Stresshormon, das eine Rolle bei der Stressantwort des Körpers und dem natürlichen Tagesrhythmus des Menschen spielt. Patienten, die unter Depressionen leiden, haben oft einen erhöhten Cortisolspiegel, während er bei Burnout-Patienten meist niedrig ist. Zu viel Cortisol kann für die psychische und körperliche Gesundheit genauso schlecht sein wie zu wenig.

Chronischer Stress und ein Cortisolspiegel, der aus dem Gleichgewicht geraten ist, können eine Art Dominoeffekt auf biologische Systeme ausüben, die miteinander in Verbindung stehen. Als „allostatische Last“ bezeichnet man die physiologischen Probleme oder den „Verschleiß“, der dann in diesen Systemen auftritt, und der das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Störungen des Immunsystems erhöht. Wenn man verschiedene Faktoren wie Insulin, Zucker, Cholesterin, Blutdruck und Entzündungen untersucht, kann man einen Index für die allostatische Last errechnen und ihn dann benutzen, um Probleme zu erkennen, noch bevor sie sichtbar werden.

„Die Stärke des Modells der allostatischen Last liegt darin, dass es flexibel ist und zahlreiche biologische Systeme umfassen kann, die durch chronischen Stress strapaziert werden. Die Verwendung von Speichelproben und allgemein anerkannten Fragebögen ergänzt sich, sodass wir nicht nur die Empfänglichkeit für zum Beispiel Stoffwechselstörungen oder Herzerkrankungen messen können, sondern darüber hinaus auch die für psychische Probleme”, sagt Juster.

Diese erste Pilotstudie wurde an 30 Teilnehmern mittleren Alters durchgeführt. Die allostatische Last wurde durch Routine-Bluttests und zusätzlich durch Speichelproben bestimmt, die die Teilnehmer zu Hause sammelten, sowie während eines Stresstests im Labor. Außerdem füllten sie Fragebögen aus, mit denen ihr aktueller Stress sowie Symptome von Depression und Burnout quantifiziert wurden.

Die Untersuchung ist Teil eines grösseren Forschungsprogramms, das die Entwicklung einer personalisierten Medizin auf diesem Gebiet zum Ziel hat. Die personalisierte Medizin strebt die Anpassung der Behandlung an die Bedürfnisse des Einzelnen an. „Um individualisierte Ansätze bei Präventions- und Behandlungsstrategien stärker voranzutreiben, müssen wir die biologischen, psychologischen und sozialen Merkmale erforschen, die für eine Erkrankung charakteristisch sind“, sagt Lupien. „Bei Erkrankungen wie Burnout, wo wir keinen Konsens über diagnostische Kriterien haben, und wo es Überschneidungen mit Depressionssymptomen gibt, ist es unerlässlich mehr als eine Methode zur Analyse zu benutzen. Ein Merkmal, das für Burnout charakteristisch ist, scheint eine stark nachlassende Produktion des Stresshormons Cortisol zu sein sowie eine gestörte Regulation der physiologischen Mechanismen, die mit diesem Stresshormon interagieren.“

Kritisch anzumerken ist, dass Menschen mit Burnout häufig mit Antidepressiva behandelt werden, die den Cortisolspiegel senken. Wenn der Cortisolspiegel bereits niedriger ist, als er sein sollte, könnte diese Art der Behandlung einen therapeutischen Fehler darstellen. „Die Verwendung eines Indexes für die allostatische Last erlaubt Forschern und Ärzten einen Einblick, wie sehr chronischer Stress an einem Menschen zehrt. In Zukunft brauchen wir Untersuchungen, die Menschen über einen längeren Zeitraum beobachten, um festzustellen, ob dieses Profil aus niedrigem Cortisol und physiologischen Regulationsstörungen tatsächlich das Autogramm des Burnouts ist. Wenn ja, ist die Wissenschaft ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen gestressten Arbeitnehmern zu helfen, noch bevor sie einen Burnout haben“, sagt Juster. Zitiert aus: http://www.praxis-dr-shaw.de

Juster, Robert-Paul et al, "A clinical allostatic load index is associated with burnout symptoms and hypocortisolemic profiles in healthy workers", in: Psychoneuroendocrinology , Volume 36 , Issue 6 , 797 - 805.

Danhof-Pont MB1, van Veen T, Zitman FG., "Biomarkers in burnout: a systematic review", in: J Psychosom Res. 2011 Jun;70(6):505-24.



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Partnerschaft mit der Seeklinik Brunnen

Burnout Protector und die Seeklinik Brunnen gehen eine Partnerschaft ein, die die Publizierung  des Burnout Risiko Test (BRIX) auf der Homepage der Seeklinik Brunnen enthält und den wissenschaftlichen Gedankenaustausch vorsieht.

 

Die Seeklinik Brunnen, am Vierwaldstätter See: Zeit für eine Auszeit

Als Klinik für integrative Medizin fokussieren wir uns auf die ganzheitliche Behandlung von psychischen Störungen wie Burnout und Depression, Schlafstörungen, Lebens- und Orientierungskrisen sowie funktionellen Organbeschwerden. Die Seeklinik Brunnen ist als Spezialklinik für Komplementärmedizin auf der Spitalliste für Psychiatrie des Kantons Schwyz geführt. Unser integriertes Facharztzentrum bietet zudem in den Bereichen Allgemeine Innere Medizin, Orale Medizin, Orthopädie sowie Urologie und Andrologie das Beste aus der Schul- und Komplementärmedizin aus einer Hand und stellt so die ambulante Grundversorgung sicher.

Link: https://www.seeklinik-brunnen.ch

 

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Roland von Känel: Ausserordentliche Professur in Südafrika

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Roland von Känel: Ausserordentliche Professur in Südafrika

Seit rund anderthalb Jahren ist Roland von Känel Chefarzt Psychosomatische Medizin auf der Barmelweid und gleichzeitig Titularprofessor an der Universität Bern sowie CTO von Burnout Protector. Nun wird ihm eine besondere Ehre zuteil: Er wurde zum ausserordentlichen Professor (Extraordinary Professor) an der Faculty of Health Sciences an der North-West University, Potchefstroom Campus, South Africa, ernannt. Als Extraordinarius wird er von der Klink Barmelweid aus die langjährige und erfolgreiche akademische Zusammenarbeit mit dem Hypertension in Africa Research Team (HART) an der North-West University weiterführen und seine Expertise in lokale Forschungsprojekte einbringen. Die geplanten Forschungsaktivitäten untersuchen schwergewichtig den Beitrag von psychosozialen Faktoren wie chronischem Stress und Depression für die starke Zunahme von hohem Blutdruck und Schlaganfällen in der urbanisierten afrikanischen Bevölkerung.

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Vitamin-D-Mangel und Depressivität

Je tiefer der Vitamin-D-Spiegel im Blut , desto schwerer waren die Patientinnen und Patienten depressiv verstimmt. Die Untersuchung der Klinik Barmelweid wurde in der Online-Fachzeitschrift PLOS one veröffentlicht.

In den Jahren 2013/2014 wurden 380 Patientinnen und Patienten der psychosomatischen Medizin mit der Hauptdiagnose einer Depression untersucht. Insgesamt hatten 87 Prozent der Personen einen Vitamin-D-Mangel. Je tiefer der Vitamin-D-Spiegel im Blut , desto schwerer waren die Patientinnen und Patienten depressiv verstimmt.

Es sind vor allem Freud- und Lustlosigkeit , welche mit einem tiefen Vitamin-D-Spiegel zusammenhängen. Dies ist eine neue wissenschaftliche Erkenntnis. Die Studienresultate legen nahe, dass es aus klinischer Sicht sinnvoll ist, bei Patientinnen und Patienten, welche mit einer Depression hospitalisiert werden, den Vitamin-D-Spiegel routinemässig zu bestimmen und allenfalls den Vitamin-D-Mangel mit einem Vitamin-D-Präparat auszugleichen.

Roland von Känel et al

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Burnout bei Ärzten "Mein Denken war beschädigt" (MEDINSIDE)

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MEDINSIDE,  28. August 2015

Ein Arzt beschreibt, welch paradoxe Wirkungen seine eigenen Depressionen hatten: Weniger Selbstzweifel – aber mehr Zweifel an seinen Patienten.

«Für die Patienten gibt es Betreuung für alle Situationen»: So sagt es ein Chirurg an einem grossen Schweizer Spital. «Aber was passiert eigentlich mit uns in diesem Beruf? Danach fragt keiner. Kein einziges Mal habe ich das erlebt.» Der Oberarzt sagt es im privaten Gespräch, so nebenbei. «Wir müssen einfach funktionieren.»

Ob bald öfter danach gefragt wird? Immerhin werden Themen wie Depressionen, Burnout oder Substanzen-Abusus bei Ärzten zunehmend lauter diskutiert. Aus der angelsächsischen Welt hört man regelmässig von Studien, die geradezu dramatische Ausmasse andeuten. Eine Umfrage des Ärzteblatts «Pulse» unter 2'200 englischen Medizinern ergab soeben, dass sich fast drei Viertel emotional ausgelaugt fühlen («emotionally exhausted»). Wobei ein Viertel übrigens eine tiefe Arbeitsbefriedigung bekundet. 

Burnout-Gefahr bei Internisten?

Fast zeitgleich, Mitte Juli, befragte eine Ärzteversicherung in England gut 600 Mediziner – und 85 Prozent bekundeten, schon mindestens ein psychisches Problem gehabt zu haben. Wobei ein Drittel – 32 Prozent – äusserten, einmal in ihrer Berufskarriere eine Depression durchlitten zu haben. Und 10 Prozent feststellten, dass sie schon Selbstmordabsichten gehegt hatten.

Dramatisch auch eine Zahl, die ebenfalls diesen Sommer aus den USA kam: Danach hat jeder zweite Arzt für Innere Medizin schon ein Burnout erlitten; Basis hier war die jährliche Untersuchung «Physician Lifestyle Report 2015» des amerikanischen Branchennetzwerks «Medscape».

Nun soll auf der anderen Seite nicht dramatisiert werden: In derartigen Selbsteinschätzungen wird womöglich auch viel Kritik an anders gelagerten Zuständen hineingepackt. In der Schweiz kam zum Beispiel eine Erhebung aus dem Jahr 2005 zu doch recht gemässigteren Ergebnissen. Nach einer Fragebogen-Erhebung bei 1'784 hiesigen Ärzten wurden bei 19 Prozent hohe Werte für emotionale Erschöpfung gefunden. Und nur bei 4 Prozent hohe Burnout-Werte in allen Parametern.

Catherine Goehring, Martine Bouvier Gallacchi, Beat Künzi, Patrick Bovier: Psychosocial and professional characteristics of burnout in Swiss primary care practitioners: a cross-sectional survey», in: «Swiss Medical Weekly», März 2005.

Es kommt also auch, wie immer, auf die Erhebung an. Und auf die Einschätzung der Befragten. Interessant ist nun der Text, den ein Arzt gestern im «Guardian» veröffentlicht hat – anonym, versteht sich.

Der Mann erlitt drei Jahre nach dem Staatsexamen – in seiner Assistenzarzt-Zeit – eine schwere Depression. Zuvor schon hatte er leichte depressive Anfälle gehabt; in der Stress-Situation des Berufseinstiegs trank er oft zuviel. Versagensängste kamen auf, er machte sich Selbstvorwürfe. Liess sich dann Antidepressiva verschreiben, wagte später eine Elektrokonvulsionstherapie.

Mehr Selbstvertrauen als Arzt

Zusammen mit der Medikation und einer guten Betreuung im Umfeld zeigte sich tatsächlich eine Wirkung: Nach einer längeren Auszeit konnte der Arzt wieder zurück an die Arbeit, und er fühlte sich auch selber geheilt.

Anonymous fragt nun, wie er sich in diesem Prozess durch Depression und Heilung verändert hat – bei seiner Tätigkeit, in seinem Verhältnis zu den Patienten. Sein Fazit: Die Entwicklung war grundsätzlich positiv.

Er war jetzt stabiler, und er hatte mehr Selbstvertrauen als Arzt: Denn sein Eindruck war, dass niemals wieder etwas so schwierig sein könnte wie das, was er gerade durchgemacht hatte.

Anonymous, «My nervous breakdown as a doctor made me doubt my patients' depression», in: «The Guardian»

Zugleich aber änderte sich seine Haltung zu den Patienten. Es war keineswegs so, dass seine Empathie gegenüber Depressiven gestiegen wäre. Im Gegenteil: Wenn Patienten klagten, bedrückt zu sein, reagierte der geheilte Arzt gereizt. «Einfach gesagt: Ich glaubte nicht mehr, dass Depression eine Krankheit sei.»

Denn in der Phase seiner eigenen Erkrankung war ihm wieder und wieder gesagt worden, dass sein Zusammenbruch letztlich eine Unfähigkeit sei, mit den Rückschlägen des Lebens umzugehen. «Und so begann ich zu glauben, dass dies bei den meisten Leuten mit einer ähnlichen Diagnose auch der der Fall ist.»

«Ich würde es niemandem wünschen»

Am Ende war «Anonymous» zwar geheilt, aber seine Denkweise war, wie er selber sagt, beschädigt, «flawed». Erst nachdem er dann wieder viel Zeit mit Patienten verbracht hatte, nachdem er mit ihnen Herkunft, Hintergrund und deren Krankheit genau ausgelotet hatte – erst dann begann er einzusehen, wie wahllos psychische Erkrankungen wirklich sind.

Sein Fazit? Eine Depression kann die ganze Identität zerstören, den Selbstwert und alle alten Überzeugungen. «Obwohl sie mich zu einem empathischeren Arzt und einer stärkeren Person gemacht hat, würde ich sie niemandem wünschen.»

 

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9-jährig, ausgebrannt (Kinder mit Burnout)

Jetzt klagen auch Kinder über Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Ist unser Nachwuchs den Anforderungen in Schule und Freizeit noch gewachsen?

Nina Streeck, NZZ am Sonntag

Charlotte schläft schlecht. Oft plagen sie Bauchschmerzen, vor allem morgens und abends. Dann weint sie im Bett. Sie hat Angst. Angst, am nächsten Morgen in die Schule zu gehen. Tag für Tag muss ihre Mutter sie überreden. In der Schule hält die Neunjährige es kaum noch aus und kann sich schlecht konzentrieren. Darum macht sie sich nun auch Sorgen um ihre Noten und hat noch mehr Angst. Obwohl sie immer eine gute Schülerin war.

Von Kindern wie Charlotte erzählt der Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort in seinem Buch «Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert». «Solche Kinder sitzen in grösserer Zahl vor mir», sagt er. Kinder, die über Erschöpfung klagen, die von Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit berichten, die abends nicht einschlafen können, die sich traurig fühlen, die Kopf- und Bauchschmerzen haben und appetitlos sind, die Probleme mit der Aufmerksamkeit in der Schule bekommen. Seit fünf Jahren begegnen Schulte-Markwort Kinder mit diesen Symptomen. Doch was sollte er davon halten?, fragte er sich lange.

Wer ausbrennt, muss zuvor gebrannt haben. Es ist keine Schande, daran zu erkranken.

Ein Burnout befällt die Leistungswilligen. «Erst habe ich mich innerlich gewehrt gegen das, was sich mir da aufdrängte», sagt er. Er dachte, das könne nicht sein. Das gebe es nur in der Erwachsenenwelt. Aber dann entschloss er sich, die Sache beim Namen zu nennen: «Die Kinder leiden an Burnout.» Was man bisher nur bei Erwachsenen kannte, soll nun also auch Kinder und Jugendliche betreffen. Weil Schulte-Markwort eine Debatte anstossen möchte, hat er sein Buch verfasst: Warum werden die Kinder krank? Welche Verantwortung tragen wir Erwachsenen? Was können wir tun?

Was sich hinter dem schillernden Begriff Burnout verbirgt, ist alles andere als klar. Im vergangenen Jahrzehnt brach unter Erwachsenen eine regelrechte Epidemie aus. Von Jahr zu Jahr meldeten sich mehr Leute krank, weil sie sich ausgebrannt und erschöpft fühlten. In den einschlägigen Diagnose-Manualen lässt sich Burnout als Krankheit allerdings nicht finden. So kursiert seit längerer Zeit der Verdacht, es handele sich um eine erfundene Krankheit, die dem Zeitgeist entspricht und durchaus positive Züge trägt. Denn wer ausbrennt, muss zuvor gebrannt haben. Es ist keine Schande, daran zu erkranken, im Gegenteil. Ein Burnout befällt die Engagierten und Leistungswilligen. Und jetzt also auch Kinder.

Einer, der Zweifel daran hegt, ist Kinder- und Jugendpsychiater Klaus Schmeck von der Universität Basel. «Man muss nicht mehr Diagnosen erfinden», sagt er, «sondern die, die es gibt, adäquat anwenden.» Was Schulte-Markwort Burnout nennt, würde Schmeck als Depression bezeichnen. Und sie entsprechend behandeln. «Die Diagnose Burnout ist beliebt, weil sie impliziert, jemand habe Grosses geleistet, während bei einer Depression viele denken, das Kind sei schwach.»

Daran ist einerseits etwas Wahres, andererseits führt die Vermutung von Schwäche in die Irre. Wer an einer Depression erkrankt, ist tatsächlich entsprechend konstituiert. So wie manch einer mit einer Veranlagung zu schlechten Zähnen, Migräne oder Allergien zur Welt kommt, sind einige Menschen eher disponiert, im Laufe ihres Lebens eine psychische Krankheit zu entwickeln. Tatsächlich mache die Hälfte von uns eine seelische Störung durch, über ein Fünftel erlebe eine depressive Episode, sagt Schmeck. Bei gut einem Drittel der Erwachsenen in Europa lässt sich innerhalb eines Jahres eine seelische Erkrankung diagnostizieren. In der Schweiz bezeichnete sich in der Gesundheitsbefragung 2012 ein knappes Fünftel als psychisch belastet. Für Kinder und Jugendliche existieren keine entsprechenden Daten.

Statt von Burnout spricht Schmeck lieber von einer «mangelnden Passung zwischen den Fähigkeiten des Kindes und den Anforderungen an es». In der Sache stimmt er seinem Kollegen Schulte-Markwort zu: «Kinder können überfordert sein und in den Zustand der Erschöpfung kommen.» Auch er wünscht sich eine Diskussion über die hohen Erwartungen von Eltern, Lehrern und Gesellschaft an die Kinder.

Denn darin sieht Schulte-Markwort die Ursache dafür, dass so viele erschöpfte Kinder in seiner Ambulanz aufkreuzen. Überall seien die Kinder mit dem «Prinzip Leistung» und einer umfassenden Ökonomisierung des Lebens konfrontiert. Zu Hause erleben sie gestresste Eltern, die bis zum Umfallen arbeiten und den Druck an ihre Kinder weitergeben, indem sie gute Schulnoten verlangen. Der Stundenplan in Schule und Freizeit ist vollgestopft, die Anforderungen in der Schule hoch. Die Kinder und Jugendlichen verinnerlichen das und erwarten von sich selbst, dem zu genügen; sie vergleichen sich miteinander auf Facebook. Es ist ein ganzer Strauss von Stressfaktoren, den Schulte-Markwort identifiziert.

Eine zwiespältige Sache

«Natürlich gibt es überlastete und erschöpfte Kinder», sagt dazu der Sozialwissenschafter Peter Rüesch von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. «Aber das ist kein medizinisches Problem.» Zwar teilt er mit seinen Kollegen die Einschätzung, dass etwas faul ist, wenn Kinder über Erschöpfung klagen. Nur findet er es nicht hilfreich, daraus eine neue Krankheitsdiagnose zu stricken und die Lösung des Problems damit Ärzten zu überlassen.

Solche Zuschreibungen kann man als Medikalisierung bezeichnen: Ärzte behandeln, was früher nicht als Krankheit galt, wie Kinderlosigkeit und Stress im Job. Oder sie widmen sich der Verbesserung des Lebens, statt Erkrankungen zu therapieren, saugen Fett ab oder verschreiben Anti-Ageing-Produkte. Für zwiespältig hält das Rüesch mit Blick auf die neue Diagnose Kinder-Burnout: «Einerseits werden die Familien entlastet, wenn klar wird, dass es dem Kind nicht an Leistungsbereitschaft mangelt», sagt Rüesch. «Andererseits bewerten wir ein Verhalten als krank und behandlungsbedürftig, das wir früher vielleicht als schwierig, aber doch noch normal angesehen haben.»

Die Diskussion ist bekannt vom «Zappelphilipp-Syndrom». Seit den 1980er Jahren macht die Diagnose ADHS Karriere. Aber warum? Gab es die Krankheit zuvor nicht? Hat die Pharmaindustrie sie erfunden, um möglichst viel Ritalin zu verticken? Haben wir es mit einer blossen Mode zu tun, die bald wieder verschwindet? Solche Fragen stellen sich auch beim Burnout.

Zwei bis drei Prozent der Kinder leiden an einem Burnout, meint Schulte-Markwort. Bei Erwachsenen scheint die Diagnose bereits rückläufig zu sein, jedenfalls in Deutschland: Die Krankenkasse DAK meldet für das Jahr 2013 ein Drittel weniger Fehltage als 2012 und sieht eine Fortsetzung dieses Trends 2014. Burnout, so scheint es, ist wieder aus der Mode. «Die Zahlen sagen nur etwas über unsere Bereitschaft aus, jemandem eine Diagnose zu stellen», sagt dazu der Frankfurter Soziologe und Psychologe Martin Dornes. «Epidemiologisch lässt sich keine Zunahme psychischer Krankheiten in den letzten 30 Jahren feststellen.»

Dornes hat in seinem umfangreichen Buch «Die Modernisierung der Seele» detailliert untersucht, ob es um Kinder und ihre Eltern heute wirklich so übel bestellt ist, wie die Vielfalt an öffentlichen Klagen vermuten lässt. Sein Fazit: Ganz und gar nicht – eher zeigt sich eine «Konstanterhaltung des psychischen Negativitätsbedarfs». Auf Deutsch: Wir brauchen immer Gründe, um zu jammern. Kinder und Jugendliche von heute haben keineswegs übermässigen Stress, sondern vergleichsweise traumhafte Bedingungen: «Wenn man 1960 in der Schule nicht schreiben konnte, wurde man aussortiert», sagt er. «Heute wird eine Legasthenie diagnostiziert und eine Therapie angesetzt.»

Gefragt ist Gelassenheit

Bei Kindern Burnout zu vermuten, hält er deswegen eher für Alarmismus, der zu einem «Prinzessin-auf-der-Erbse-Effekt» führen kann: Wir klagen über Beschwerden, die wir früher ertragen haben. Das, meint Dornes, hat mit der «wachsenden Penetranz sinkender Restgrössen» zu tun. Geht es uns besser, spüren wir verbleibende Mängel umso schmerzlicher. Doch sieht Dornes das keineswegs nur negativ, sondern auch als Zeichen einer «Zivilisierung und Sensibilisierung». Wir schauen genauer hin, wie es Kindern und Jugendlichen geht, reagieren feinfühliger auf Auffälligkeiten und scheuen uns weniger, ein Symptom als Krankheit zu betrachten und einer Behandlung zuzuführen. Solange das im Modus der Gelassenheit geschieht, ist Dornes durchaus einverstanden. Wie sein Basler Kollege Schmeck hielte er allerdings lieber an den klassischen Diagnosen fest, statt von Burnout zu sprechen.

Bei Charlotte, der kleinen Patientin von Schulte-Markwort, würde seine Ferndiagnose auf Angstneurose lauten. Einen «marketingstrategischen Schachzug» vermutet er hinter dem Buchtitel «Burnout-Kids». Was Schulte-Markwort durchaus einräumt: «Der Verlag hat mich dazu gedrängt, weil der Begriff Burnout ein Vehikel sei, eine Diskussion anzustossen», sagt er.


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Reporter - Burnout oder Herzinfarkt

Der Herzinfarkt sei das Verdienstkreuz der Leistungsgesellschaft, während psychische Krankheiten wie Depression oder auch das Burnout oft belächelt oder gar verniedlicht werden. In der Rehabilitationsklinik in Gais werden Menschen mit diesen beiden Krankheitsbildern therapiert. Zwar wünscht sich niemand einen Aufenthalt in der Klinik, doch von den Menschen, die das Schicksal hier her gezwungen hat, sprechen fast alle von einer Oase der Ruhe und der Zufriedenheit.

So auch Elmar Gehrer. Er erlitt einen Herzinfarkt und erholt sich nun davon. Pierre Ansermet hingegen erkrankte an Burnout und versucht, in Gais zu neuen Kräften und neuem Mut zu kommen.

Woran liegt es, dass die eine Patientengruppe stigmatisiert wird, während die andere weitgehend auf Akzeptanz stösst, obwohl die Ursachen sich oft auf verblüffende Weise ähneln? Reporter Marc Gieriet hat in Gais Menschen getroffen, deren Körper vor kurzem die Notbremse gezogen hat.

SRF

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Burnout in der Primarschule

Jeder dritte Schüler fühlt sich laut einer neuen Studie gestresst. Schon Primarschüler zeigen Anzeichen der Managerkrankheit.
— Tagesanzeiger, 8. Feb. 2015

Schule, Nachhilfe, Tennisunterricht und danach noch Klavierstunden: Die Managerkrankheit hat die Primarschule erreicht. Laut aktuellen Zahlen leiden 4,4 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in der Schweiz unter Depressionen, jeder dritte Schüler fühlt sich gestresst. «Seit zwei Jahren erkranken immer mehr Grundschüler an Burnout», sagt der deutsche Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort (58) im Interview mit dem «Sonntagsblick».

Foto: Christof Wortberg

Foto: Christof Wortberg

Bei den meisten Kindern beginnen die Probleme mit neun oder zehn Jahren. «Die Gesellschaft hat an kleine Kinder eine grosse Erwartungshaltung», sagt der Zürcher Burnout-Coach Andreas Diethelm gegenüber dem «Sonntagsblick». Bereits Primarschüler stünden unter starkem Notendruck und müssten regelmässig zur Nachhilfe. Die Eltern förderten sie in Fächern, die sie in der Schule noch gar nicht hätten. Die Kinder lernten so sehr früh, sich auf ihre Zukunft zu fokussieren – und setzten sich selber unter Druck.

Zu viel Leistungsdruck könne sich auch in Unruhe oder Unaufmerksamkeit äussern, sagt Burnout-Coach Andreas Diethelm gegenüber dem «Sonntagsblick». Er rät Lehrern, Auffälligkeiten früh mit den Eltern zu besprechen. (fko)

Tagesanzeiger, 8. Feb. 2015

 

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Jeder dritte Lehrer steht vor dem Burnout

Sonntagszeitung

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Jeder dritte Lehrer steht vor dem Burnout Tausende Pädagogen sind stÄndig überlastet und depressiv

Zeitdruck, verhaltensauffällige Schüler und komplizierte Eltern bringen in der Schweiz Tausende Lehrer an den Rand eines Burnouts. Erstmals zeigt eine Erhebung, wie gestresst unsere Pädagogen sind. Laut der Nationalfondsstudie der Fachhochschule Nordwestschweiz ist jeder dritte Volksschullehrer stark Burnout-gefährdet. Allein auf der Oberstufe sind mehr als 10 000 Lehrer betroffen. Sie kommen auch in der Freizeit nicht mehr zur Ruhe und geben an, oft oder immer müde, schwach und krankheitsanfällig zu sein. 20 Prozent der Befragten fühlen sich «ständig überfordert», und fast ebenso viele sind mindestens einmal wöchentlich von depressiven Verstimmungen geplagt. Frauen und Teilzeitlehrer mit hohem Pensum sind am meisten gefährdet.

Ausgebrannt im Schulzimmer: Erstmals zeigt eine Studie, wie sehr Volksschullehrer am Limit laufen. Dies vergiftet das Schulklima und vermindert Lernerfolge.
— http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Ein-Drittel-der-Lehrer-ist-Burnoutgefaehrdet/story/16963687

Lehrerverband fordert kleinere Klassen und weniger Lektionen 
Die vom Bundesamt für Gesundheit mitfinanzierte Studie schreckt Experten auf. Christoph Eymann, Präsident der kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz, warnt im Interview vor den Folgen: «Viele Lehrer sind heute emotional so stark belastet, dass dies negative Auswirkungen auf den Berufsalltag und damit auf die Schüler hat.» Der Schweizer Lehrerverband verlangt jetzt eine Beschränkung der Klassengrössen auf 22 Schüler und eine Reduktion der Wochenlektionen auf höchstens 26.

Sie klatschte, bis die Hände blutig waren
Patrizia Bisig erlebte den Totalausfall. Nach Klosteraufenthalt und Hilfe durch einen berufsbegleitenden Berater arbeitet sie wieder als Lehrerin.
Bern Patrizia Bisigs «freier Fall» passiert im Winter 2010. Die Lehrerin steht mit ihren Schüölern auf dem Pausenplatz, es schneit, es ist kalt, und bei den Proben für das Adventssingen der Schule geht alles schief. Die Nerven liegen blank, sie ruft den Kindern laut stark zu, peitscht sie mit Worten an und klatscht und klatscht wie besessen den Takt der Lieder, um die Kleinen anzutreiben. In der Sitzung nachher im Lehrerkollegium erschrickt sie, als sie auf ihre Hände blickt: der Mittelfinger, an dem sie ihren Ehering trägt, ist lila geschwollen, Blut klebt an ihrer Handfläche. In der Sitzung sagt eine Kollegin: «Ich glaube, ich hab jetzt bald ein Burnout». Dann kommt sie an die Reihe. Und Patrizia Bisig fällt. Sie bricht innerlich zusammen. «Ich habe ein Burnout», hört sie sich sagen. Sie steht auf, will aus dem Zimmer rennen, setzt sich dann doch wieder hin, bricht in Tränen aus. Totalausfall.

Druck von Schule, Eltern und durch pädagogische Konzepte
«Freier Fall, als hätte jemand das Hamsterrad abgestellt», beschreibt die Volksschullehrerin und zweifache Mutter das Gefühl der Ohnmacht und Leere. Diagnose: Burnout. «Ich musste die Situation akzeptieren. So begab ich mich auf die Suche nach meiner inneren Balance.» Patrizia Bisig, 54, geht auf eine ganz persönliche Reise, auf «die Suche nach sich selbst». Nach ihrem Zusammenbruch wird sie krankgeschrieben, geht für drei Wochen ins Kloster Rickenbach LU. Dort findet sie Ruhe und feste Strukturen. Nach drei Wochen kann sie wieder sechs Stunden am Stück schlafen, wieder regelmässig essen. Etwas, das sie schon seit langem nicht mehr kannte. Schlaf- und Essstörungen – ein Dauerzustand bei vielen Burnout-Patienten.
«Ich war stets in Hast, wollte es allen recht machen, hinzu kam der Druck von Schule und Eltern, pädagogische Konzepte, die es umzusetzen galt.» Sie selber bleibt dabei auf der Strecke. Bisig arbeitet praktisch Tag und Nacht für die Schule, unterrichtet während neun Jahren anspruchsvolle Klassen in Bern-Bethlehem, übernimmt im Kollegium dieses und jenes Ämtli. Die Erschöpfungssymptome hat sie lang vor ihrem Zusammenbruch, verdrängt sie, schleppt sich immer irgendwie in die nächsten Ferien. Sie hat «den anderen Pol» nicht gelebt: Balance, Ruhe, allein sein, Rückzug, Abstand halten. Sie hätte ein schlechtes Gewissen bekommen, sagt Bisig. «Man steht immer unter Druck.»

Hilfe in Anspruch nehmen braucht enorm viel Mut

Im Kloster erlangt sie ein Gefühl der Ruhe, der Festigung. «Ich lernte, fürsorglich mit mir selber um zugehen. So fing ich an, wieder eine Beziehung zu mir aufzubauen.» Sie lernt, wieder auf ihren Körper zu hören, und sich bewusst zu machen, wo ihre Grenzen liegen. Etwas, das ihr nicht leicht fällt. Bis heute nicht. Sie gehört zu den Menschen, die gern arbeiten, die sich gern einsetzen für eine Sache, für andere Menschen, für die Kinder an ihrer Schule sowieso.

«Wir eilen immerfort multifunktional durchs Leben, geben so viel, nur nicht für uns selber.» Wieder zu Hause, stand ihr ein Casemanager der Pädagogischen Hochschule Bern zur Seite. «Eine der besten Hilfeleistungen für Lehrer überhaupt», schwärmt sie. Mit ihm kann sie das Geschehene reflektieren, er koordiniert Termine mit dem Arzt und der Psychologin, nimmt ihr die Kontakte zur Schulleitung und ihrer Stellvertreterin ab.

Mehr als 250 Lehrpeonen pro Jahr nehmen im Kanton Bern diese Dienstleistung in Anspruch – wegen unterschiedlicher Erkrankungen. 75 Prozent werden länger als ein halbes Jahr betreut. Patrizia Bisig erinnert sich gut, wie sie in der schwierigen Zeit nach der Burnout-Diagnose von ihren Mitmenschen gemieden wird. Man gelte als krank. «Die braucht Ruhe», heisse es im Umfeld, Kollegen und Freunde ziehen sich zurück. Dabei braucht man sie gerade dann mehr denn je. «Mein Casanager hat das Beste gemacht: Er hat mit mir geredet.» Heute steht Patrizia Bisig wieder mit beiden Beinen im Leben. Einiges hat sich verändert: Sie trennte sich von ihrem Mann, zog in eine eigene Wohnung und ist im Diplomjahr zur Mal- und Gestaltungstherapeutin. «Hilfe in Anspruch nehmen braucht viel Mut», sagt sie und rät es zugleich allen Betroffenen. Sie kennt viele Kollegen, die das nicht schaffen: «Diesen Schritt muss man machen, er ist das Wichtigste.» Claudia Marinka 

Sonntagszeitung, 26. Oktober 2014

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