Burnout soll als Berufskrankheit anerkannt werden (Der Bund, 13.02.2019)
Leidet jemand wegen seiner Arbeit an Erschöpfungszuständen, soll die Unfallversicherung eingreifen und den Arbeitgeber in die Pflicht nehmen.
Wer sich monate- oder jahrelang im Teufelskreis aus Überarbeitung und Überforderung bewegt, landet in einem emotionalen, geistigen und körperlichen Erschöpfungszustand, genannt Burnout. Foto: Keystone
Jeder vierte Erwerbstätige in der Schweiz hat Stress am Arbeitsplatz und fühlt sich erschöpft. Laut dem Stress-Monitoring 2018 der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz werden 27 Prozent der Arbeitnehmer hat über ihre Ressourcen hinaus belastet. Gar 30 Prozent fühlen sich emotional erschöpft. Wer sich monate- oder jahrelang im Teufelskreis aus Überarbeitung und Überforderung bewegt, landet in einem emotionalen, geistigen und körperlichen Erschöpfungszustand, genannt Burnout.
Allerdings ist Burnout heute weder eine medizinische Diagnose noch eine anerkannte Krankheit. Häufig wird bei den Betroffenen eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert. Doch nun soll das Burnout-Syndrom als Berufskrankheit anerkannt werden. Dies fordert der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard mit einer parlamentarischen Initiative, die am Freitag in der Gesundheitskommission des Nationalrats behandelt wird.
Jährlicher Schaden von 6,5 Milliarden
Mit der Anerkennung von Burnout als Berufskrankheit könnten Betroffene besser behandelt, die Prävention verstärkt und der berufliche Wiedereinstieg erleichtert werden, so Reynard. Er verweist auf Studien, die belegten, dass der von den Erwerbstätigen empfundene Stress stetig grösser werde. Eine Ursache sei der Wandel in der Arbeitswelt und die veränderten Produktionsmethoden. Das Risiko für ein Burnout sei in den Berufen des Dienstleistungssektors am höchsten.
Reynard verweist auch auf den wirtschaftlichen Schaden, der durch Burnout-Fälle entsteht. Dieser beträgt laut Gesundheitsförderung Schweiz jährlich 6,5 Milliarden Franken, was 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes entspricht. Einberechnet sind die Kosten für krankheitsbedingte Arbeitsausfälle sowie das nicht ausgeschöpfte Potenzial der Betroffenen.
Arbeitsmedizinerin Brigitta Danuser würde eine Anerkennung des Burnout-Syndroms begrüssen. Denn wäre Burnout explizit auf der Liste der Berufskrankheiten, müssten Arbeitgeber mehr zur Prävention von Stress am Arbeitsplatz unternehmen, sagt Danuser. Für die Betroffenen selbst hätte die Anerkennung den Vorteil, dass die Unfallversicherung die Behandlungskosten übernehmen und keine Franchise bezahlt werden müsste.
Arbeitsmedizinerin: «Das wird etwas bewirken»
Wenn zudem Burnout-Fälle in einem Betrieb gehäuft aufträten, müsste die Versicherung den Ursachen nachgehen und sie könnte den Arbeitgeber auffordern, Massnahmen gegen die hohe Arbeitsbelastung zu ergreifen. «Nur schon, wenn die Versicherung entsprechende Abklärungen in einer Firma macht, wird das eine Wirkung haben», sagt Danuser. Sie ist ordentliche Professorin für Arbeitsmedizin im Zentrum Unisanté in Lausanne und ehemalige Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin. Sie sei an ihrem Institut immer wieder mit Burnout-Patienten konfrontiert. Diese arbeiteten fast immer im Dienstleistungsbereich.
Obwohl Burnout in der Schweiz weit verbreitet ist, rechnet Danuser nicht damit, dass viele Fälle als Berufskrankheit anerkannt würden. Denn die gesetzliche Hürde ist hoch. So muss eine Krankheit zu mehr als 50 Prozent von der beruflichen Tätigkeit herrühren. Bis heute sei in der Schweiz noch nie eine psychische Krankheit als berufsbedingt anerkannt worden. Eine Anerkennung als Berufskrankheit würde vorab bedingen, dass Burnout als medizinische Diagnose gilt, also einen eigenen medizinischen Code erhält.
Auch der Psychologe Niklas Baer befürwortet eine Anerkennung von Burnout als Berufskrankheit. Damit erhielte das Thema psychischer Erkrankungen mehr Gewicht und die Betroffenen würden weniger stigmatisiert. Beim Burnout werde die Schwierigkeit allerdings darin bestehen, die berufsbedingten Faktoren und die anderen Ursachen auseinander zu halten, sagt Baer. Er ist Leiter der Fachstelle Psychiatrische Rehabilitation an der Psychiatrie Baselland und hat an verschiedenen Studien zur Arbeitsintegration psychisch Kranker mitgewirkt.
Arbeitgeber gegen Anerkennung
Die Anerkennung als Berufskrankheit sei nicht der richtige Weg, sagt hingegen Martin Kaiser vom Arbeitgeberverband. Beim Burnout handle es sich um ein ernst zunehmendes Phänomen, dahinter stünden aber verschiedene Diagnosen. Häufig liege die Ursache nicht nur in der beruflichen Tätigkeit, sondern es gebe auch andere Gründe, etwa private. So oder so seien die Arbeitgeber gefordert, die Situation am Arbeitsplatz möglichst früh zu erkennen, um mit geeigneten Massnahmen einen Zusammenbruch zu vermeiden. Gelinge dies nicht, müssten Betroffene professionell begleitet und bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz gut unterstützt werden.
Die Berufskrankheiten sind im Unfallversicherungsgesetz geregelt. Es sind dies Krankheiten, «die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind». Die schädigenden Stoffe und arbeitsbedingten Erkrankungen sind in einer Verordnung aufgelistet. Unter den Listenkrankheiten figuriert zum Beispiel die Staublunge.
Eine Krankheit kann aber auch als Berufskrankheit diagnostiziert werden, wenn sie nicht explizit aufgelistet ist. Solche berufsassoziierten Gesundheitsstörungen können Erkrankungen des Bewegungsapparates oder Beschwerden wie Schlaflosigkeit oder Stress sein. Weil es dafür meist verschiedene Ursachen gibt, besteht heute kaum Aussicht auf Anerkennung als Berufskrankheit. (Redaktion Tamedia)
Erstellt: 13.02.2019, 20:38 Uhr