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«Stressprävention hat Potenzial»

Hans Rudolf Olpe, Neurobiologe

Der chronische Stress findet in der Prävention nicht gebührende Beachtung.

PD Dr. em. Hans Rudolf Olpe

Die kontinuierlich ansteigenden Gesundheitskosten geben zu wachsender Sorge Anlass. Nur in den USA sind die Pro-Kopf-Kosten noch höher als bei uns. Ausser für jene Personen, die mit dem Gesundheitswesen ihren Lebensunterhalt verdienen – und das sind immerhin eine halbe Million Personen –, wäre eine Eindämmung der Prämien äusserst wünschenswert, trotz allgemeiner Zufriedenheit mit den medizinischen Leistungen.

Politikerinnen und Politikern sind aber die Hände gebunden. Beispielsweise schrecken sie vor Massnahmen zurück, die ihre Wiederwahl gefährden könnten, wie etwa das Schliessen von Spitälern. Die Preise der Medikamente stehen unter Druck, und der Spielraum für weitere Preisreduktionen wird kleiner. Seit mehreren Jahren wird neben den Fortschritten in der Medizin die Überalterung als preistreibender Faktor ins Feld geführt. Insbesondere gibt die steigende Zahl von Alzheimerpatienten zu grosser Sorge Anlass. Sind wir diesen Entwicklungen hilflos ausgesetzt, oder gäbe es Möglichkeiten dagegen vorzugehen?

Personalisierte Pharmakologie

In der NZZ-Ausgabe vom 16. Dezember hat Herr Thomas D. Szucs, Verwaltungsratspräsident der Krankenkasse Helsana, die Meinung vertreten, dass es wünschenswert wäre, das Genom der Schweizer zu bestimmen, denn dies würde letztlich zu einer Reduktion der Krankenkosten bzw. der Prämien führen. Die Idee dahinter ist die, dass Arzneimittel dann optimal eingesetzt werden können, wenn man den genetischen Bauplan und somit auch den Zellstoffwechsel einer Person kennt. Die Entwicklung in Richtung dieser personalisierten Pharmakologie wird zwar voranschreiten, aber die Frage, ob dadurch grosse Kosteneinsparungen zu erzielen sind, ist berechtigt.

Zweifel sind deshalb angezeigt, weil die sogenannten nicht übertragbaren Krankheiten die grossen Kostentreiber sind – die Zivilisationskrankheiten, bei denen bisher keine Haupt-Gene identifiziert werden konnten. Dazu zählen Herzinfarkt, Hirnschlag, Diabetes vom Typ II, Fettleibigkeit, diverse Krebserkrankungen sowie zahlreiche weitverbreitete Symptome wie Kopf- und Rückenschmerzen sowie bestimmte psychische Erkrankungen, von denen viele Personen betroffen sind. Bei diesen Krankheiten sind, wie schon der Name Zivilisationskrankheiten nahelegt, äussere Lebensumstände von grosser Bedeutung. Dazu zählen insbesondere der chronische Stress, die Fehlernährung und der Bewegungsmangel.

Die erwähnten Krankheiten treten oft zusammen auf und sind hinsichtlich der ihnen zugrundeliegenden Störungen und Ursachen eng miteinander verknüpft. Beispielsweise haben Patienten, die an Diabetes vom Typ II leiden, ein erhöhtes Risiko für Hirninfarkt, und adipöse Personen haben ein erhöhtes Diabetes-, Herz-Kreislauf- und Hirnschlag-Risiko. Die Liste der Verwandtschaften liesse sich stark ausweiten. Es verdichtet sich die Evidenz dahingehend, dass dem chronischen Stress, also der chronischen Überlastung, bei der Entstehung der Zivilisationskrankheiten eine prominente Rolle zukommt.

Es gibt sogar Studien, die darauf hinweisen, dass schon der Stress während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren Jahrzehnte später eine erhöhte Anfälligkeit für die erwähnten Krankheiten auslösen kann. Chronische Überlastungen lösen Entzündungen aus, die ursächlich mit diesen Krankheiten verbunden sind. Dies ist beispielsweise der Fall beim Diabetes vom Typ II, wo entzündliche Prozesse die Wirkung des Hormons Insulin reduzieren. Dadurch verliert das Hormon seine Wirkung, nämlich Zucker in die Zellen zu befördern.

Hirnschlag, Herzinfarkt, Alzheimer

Auch bei den zu Hirnschlag und Herzinfarkt führenden Fettablagerungen an den Gefässwänden spielen entzündliche Prozesse eine zentrale Rolle, und die Statine schützen vor diesen Erkrankungen, selbst wenn die Blutfettwerte im normalen Bereich liegen. Diese Wirkung der Statine wird auf ihre entzündungshemmenden Eigenschaften zurückgeführt. Sogar bei der Depression werden entzündliche Prozesse im Gehirn vermutet und untersucht.

Darüber hinaus sind zahlreiche degenerative Hirnerkrankungen mit entzündlichen Vorgängen eng verknüpft, insbesondere beim Morbus Alzheimer. Bei Alzheimer rückt der Stress als Risikofaktor immer mehr in den Vordergrund, da er den Nachschub an Zellen und Wachstumsfaktoren im Gehirn unterdrückt. Weitere Risikofaktoren sind Diabetes Typ II, Übergewicht, Depressionen und Bluthochdruck, die alle auch mit Stress eng verknüpft sind.

Leider findet der chronische Stress nicht die ihm gebührende Beachtung weder in der Schule, der Ärzteausbildung, den Arztpraxen noch generell in der Prävention. Da es um weit mehr als um Burnout am Arbeitsplatz geht und die chronische Überlastung kaum abnehmen wird, wäre es zielführend, diesem Phänomen viel mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die deutsche Gesundheitskasse AOK offeriert ihren Versicherten kostenfrei eine Anleitung zu mehr Gelassenheit, was ein sehr interessanter Ansatz ist.

Hans Rudolf Olpe ist Neurobiologe und emeritierter Dozent an der medizinischen Fakultät der Universität Basel.

NZZ Online, 22.1.2015, 05:16 Uhr